ostrich,
Dienstag, 12. Mai 2009, 21:03
Tach,
wie gut, dass Du auch Details richtig stellst, ich meine hier die Rezension des Buches von Hollow Skai und den Meinungsaustausch in der Rubrik Kommentare. Als definitiv Nicht-Dabeigewesener ist übrigens, ganz unabhängig von den ganz exakten Daten und Fakten, eines ganz entscheidend, eigentlich fast jede Quelle betreffend: wie rasend schnell die Entwicklung einer Gruppe der Wenigen mit AAA-Attitüde (hier: Anders als Andere, nicht: American Automobile Association) zum recht breiten Subkultur-Standard der bundesdeutschen Ganzfrühachtzigerjahre ff. wurde. Inklusive seiner eher mehr als weniger fürchterlichen Mutationen. Der erwähnte Herr Skai hat, wie Wikipedia zu berichten meint, auch „Please Kill Me“ in die Sprache der Dichter und Denker übersetzt. Das amerikanische Original ist eines meiner pophistorischen Lieblinge im Bücherregal. Hatte mal Überlegungen angestellt, entweder das Buch ins Plattenregal zu überführen (Ehrenplatz neben den New York Dolls) oder umgekehrt die Dolls-Platten ins Bücherregal zu packen. Beide Varianten sind aber letztlich unbefriedigend. Die Formate von Buch und LPs sind nicht passend und VU plus Lou Reed würden ebenfalls berechtigte Ansprüche auf einen Umzug anmelden. Da mir Lou Reed didaktisch-rhetorisch sehr deutlich überlegen ist, habe ich eine Konfrontation gescheut und die Registratur beim Alten belassen. Auf meine Schallplatten freue ich mich übrigens jetzt schon. Nur noch zweimal Schlafen und dann darf ich wieder mal den Flieger in Richtung Rheinland besteigen. Meine Ohren schreien nach frischem Futter in diesem bitterheissen Sommer und deshalb muss der MP3-Player auf Stand gebracht werden. Und zwar dringend. In Memoriam der erfüllenden Tätigkeit des Bespielens von C90-TDK-Cassetten mache ich das wider den digitalen Zeitgeist immer noch nach prähistorischem Arbeitsethos. Nämlich in Echtzeit. Das geht so: Stereoanlage mit Laptop koppeln, LP laufen lassen, dabei natürlich anhören und nebenbei auf Festplatte speichern (Durchgang A und Durchgang B). Anschließend bearbeiten und in einzelne tracks auftrennen. Dann in MP3-Format wandeln und schließlich auf den Billig-Player ziehen. Das Knistern der Schallplatten wird natürlich nicht wegdigitalisiert. Das ergibt dann hier in der toten Wüste die angenehm lebendige Illusion, dass die Plattensammlung in erreichbarer Nähe ist. Man ist ja manchmal schon mit Wenig zufrieden.
Bei CDs oder Downloads ist das Procedere deutlich unromantischer, aber letztlich zählt doch nur das Ergebnis bzw. ist der Weg nicht Teil des Ziels.
Punk ist in Arabien übrigens weitestgehend unbekannt, sowohl bei den Hiesigen, als auch bei den weißen Gastarbeitern aus EU, UK, USA, NZ und AUS. Die zelebrieren mit ihren teils deftigen Auslandsgehältern lieber einen dumpfen Luxus-Lifestyle.
Da ich natürlich auch nur für Geld hier bin, ohne Zuständigkeit für populärkulturelle Aufklärungsarbeit, habe ich einen einfachen, aber effektiven, Weg gefunden, wenigstens ein bisschen AAA-Attitüde zu dokumentieren. Ich habe den billigsten MP3-Player und das älteste
Mobiltelefon (ohne Kamera) ganz Arabiens. Und das fällt auf! Dadrauf wird man sogar häufig angesprochen. Echt krass, die Leute sind regelrecht besorgt über den Zustand eines Menschen, der kein Ei-Pod oder Blackharry besitzt.
Viele Grüße aus dem Land mit der höchsten Klimananlagendichte der Welt,
der Kultmann
wie gut, dass Du auch Details richtig stellst, ich meine hier die Rezension des Buches von Hollow Skai und den Meinungsaustausch in der Rubrik Kommentare. Als definitiv Nicht-Dabeigewesener ist übrigens, ganz unabhängig von den ganz exakten Daten und Fakten, eines ganz entscheidend, eigentlich fast jede Quelle betreffend: wie rasend schnell die Entwicklung einer Gruppe der Wenigen mit AAA-Attitüde (hier: Anders als Andere, nicht: American Automobile Association) zum recht breiten Subkultur-Standard der bundesdeutschen Ganzfrühachtzigerjahre ff. wurde. Inklusive seiner eher mehr als weniger fürchterlichen Mutationen. Der erwähnte Herr Skai hat, wie Wikipedia zu berichten meint, auch „Please Kill Me“ in die Sprache der Dichter und Denker übersetzt. Das amerikanische Original ist eines meiner pophistorischen Lieblinge im Bücherregal. Hatte mal Überlegungen angestellt, entweder das Buch ins Plattenregal zu überführen (Ehrenplatz neben den New York Dolls) oder umgekehrt die Dolls-Platten ins Bücherregal zu packen. Beide Varianten sind aber letztlich unbefriedigend. Die Formate von Buch und LPs sind nicht passend und VU plus Lou Reed würden ebenfalls berechtigte Ansprüche auf einen Umzug anmelden. Da mir Lou Reed didaktisch-rhetorisch sehr deutlich überlegen ist, habe ich eine Konfrontation gescheut und die Registratur beim Alten belassen. Auf meine Schallplatten freue ich mich übrigens jetzt schon. Nur noch zweimal Schlafen und dann darf ich wieder mal den Flieger in Richtung Rheinland besteigen. Meine Ohren schreien nach frischem Futter in diesem bitterheissen Sommer und deshalb muss der MP3-Player auf Stand gebracht werden. Und zwar dringend. In Memoriam der erfüllenden Tätigkeit des Bespielens von C90-TDK-Cassetten mache ich das wider den digitalen Zeitgeist immer noch nach prähistorischem Arbeitsethos. Nämlich in Echtzeit. Das geht so: Stereoanlage mit Laptop koppeln, LP laufen lassen, dabei natürlich anhören und nebenbei auf Festplatte speichern (Durchgang A und Durchgang B). Anschließend bearbeiten und in einzelne tracks auftrennen. Dann in MP3-Format wandeln und schließlich auf den Billig-Player ziehen. Das Knistern der Schallplatten wird natürlich nicht wegdigitalisiert. Das ergibt dann hier in der toten Wüste die angenehm lebendige Illusion, dass die Plattensammlung in erreichbarer Nähe ist. Man ist ja manchmal schon mit Wenig zufrieden.
Bei CDs oder Downloads ist das Procedere deutlich unromantischer, aber letztlich zählt doch nur das Ergebnis bzw. ist der Weg nicht Teil des Ziels.
Punk ist in Arabien übrigens weitestgehend unbekannt, sowohl bei den Hiesigen, als auch bei den weißen Gastarbeitern aus EU, UK, USA, NZ und AUS. Die zelebrieren mit ihren teils deftigen Auslandsgehältern lieber einen dumpfen Luxus-Lifestyle.
Da ich natürlich auch nur für Geld hier bin, ohne Zuständigkeit für populärkulturelle Aufklärungsarbeit, habe ich einen einfachen, aber effektiven, Weg gefunden, wenigstens ein bisschen AAA-Attitüde zu dokumentieren. Ich habe den billigsten MP3-Player und das älteste
Mobiltelefon (ohne Kamera) ganz Arabiens. Und das fällt auf! Dadrauf wird man sogar häufig angesprochen. Echt krass, die Leute sind regelrecht besorgt über den Zustand eines Menschen, der kein Ei-Pod oder Blackharry besitzt.
Viele Grüße aus dem Land mit der höchsten Klimananlagendichte der Welt,
der Kultmann
ostrich,
Dienstag, 12. Mai 2009, 21:08
Claus Ritter, August 2008
My private Punkrock, oder wie ich der Schlagzeuger von MALE wurde
In der Zeit um 1976 war ich mit meinem Bruder George (später erster Bassist von „Freunde der Nacht“) in einer bunten Clique unterwegs. Mein Bruder spielte bereits seit etwa 1974 in verschiedenen Düsseldorfer Bands + ich begleitete ihn oft zu Proben + Auftritten. Es war natürlich äußerst aufregend für mich als kleiner Pimpf + über den jugoslawischen Schlagzeuger Vlado kam ich zum ersten Mal mit Trommeln in Berührung. Bis zu meinem ersten Drumkit war allerdings noch ein langer Weg + ich verwendete zunäxt mit Fensterleder bespannte Eimer + Blechdosen + was sich noch so anbot.
1976 war es dann endlich soweit. Ich hatte einen Ferienjob in einem Supermarkt (I still hate MUZAK!). Für 5,-DM die Stunde befüllte ich 11 Stunden am Tag die Regale + ohne das Ziel eines eigenen Schlagzeugs hätte es wahrscheinlich den ersten Supermarktamoklauf in der deutschen Geschichte gegeben. Dann kam wiederum mein Bruder George mit dem Angebot eines Freundes, ein klitzekleines Drumkit für nur noch 250,-DM zu verkaufen. Ich fackelte nicht lange + besaß alsbald ein lustiges (naja, geht so……) Schlagzeug mit verbeulten Becken, einer Piccole-Snare, einer konischen Bassdrum + einer Hardware, die wirklich hart war. Es konnte also losgehen! Meine ersten musikalischen Gehversuche erlebte ich mit meinem Bruder + ein paar Freunden mit dem holprigen Gecover von rockigen Welthits. Ich besuchte natürlich weiterhin die Proben meines Bruders mit seiner „richtigen“ Band + das natürlich nur wegen der Musik + nicht wegen der üblicherweise anwesenden Mädels. Alsbald konnte ich den „Grundschlag“, später auch als 4/4-Takt bekannt. Zu dieser Zeit hörte ich Glam-Rock, Status Quo, Iggy Pop + sehr viel David Bowie. Jetzt konnte ich also die Welt erobern………………..
Irgendwann um 1977 war Sigi, die langjährige Freundin meines Bruders George, mit der Schule in England. Sie brachte von dort zwei Platten in unsere Clique mit, die mich nachhaltig beeindrucken sollten: Das erste „Clash“-Album + „Never mind the Bollocks“ von den „Sex Pistols“. Was da aus den Lautsprechern quoll, sollte mein Leben nachhaltig beeinflussen……………….
Zu dieser Zeit kannte ich einen Typ namens Heiko. Er war ein smarter Bursche, totaler Roxy Music-, Brian Ferry- + Humphrey Bogart-Fan, und bekannt mit………………..Jürgen Engler, Bernward Malaka + Stefan Schwaab! Er hat mich später mal mit einer Knarre bedroht, weil er vermutet hat, dass ich was mit seiner Freundin hatte……….. Jedenfalls berichtete er, dass er bald in eine Punkband einsteigen werde, er müsse sich nur noch ein Schlagzeug kaufen. Ich erzählte ihm von meiner „tollen“ Schießbude. Dabei blieb es dann erstmal…………., bis nach ein paar Wochen unser Telefon klingelte + ein Typ am anderen Ende der Leitung meinte, er hätte meine Telefonnummer von Heiko. Ich hätte ja ein Schlagzeug + ob wir uns nicht mal treffen sollten. Ich lief zu dieser Zeit noch mit Plateaustiefeln + langen Haaren rum + lehnte ein Treffen im „Ratinger Hof“ erstmal ab. Ehrlich gesagt, wollte ich mich dort damals nicht blamieren. Also traf ich mich nachmittags mit den Buben in Begleitung meines damals besten Freundes Frank in der Düsseldorfer Altstadt in einer Freak-, Hippie-, Schüler- + Studentenkneipe namens „Zwiebel“. Ich passte da damals optisch ganz gut hinein, Jürgen, Stefan + Bernward eher nicht, bereicherten mit ihren Strubbelfrisuren, viel zu kurzen Plastikhosen + weißen Tshirts mit selbstaufgemaltem MALE-Symbol auf unaufdringliche Art die Szenerie.
Bald war die erste Probe…………………….
My private Punkrock, oder wie ich der Schlagzeuger von MALE wurde
In der Zeit um 1976 war ich mit meinem Bruder George (später erster Bassist von „Freunde der Nacht“) in einer bunten Clique unterwegs. Mein Bruder spielte bereits seit etwa 1974 in verschiedenen Düsseldorfer Bands + ich begleitete ihn oft zu Proben + Auftritten. Es war natürlich äußerst aufregend für mich als kleiner Pimpf + über den jugoslawischen Schlagzeuger Vlado kam ich zum ersten Mal mit Trommeln in Berührung. Bis zu meinem ersten Drumkit war allerdings noch ein langer Weg + ich verwendete zunäxt mit Fensterleder bespannte Eimer + Blechdosen + was sich noch so anbot.
1976 war es dann endlich soweit. Ich hatte einen Ferienjob in einem Supermarkt (I still hate MUZAK!). Für 5,-DM die Stunde befüllte ich 11 Stunden am Tag die Regale + ohne das Ziel eines eigenen Schlagzeugs hätte es wahrscheinlich den ersten Supermarktamoklauf in der deutschen Geschichte gegeben. Dann kam wiederum mein Bruder George mit dem Angebot eines Freundes, ein klitzekleines Drumkit für nur noch 250,-DM zu verkaufen. Ich fackelte nicht lange + besaß alsbald ein lustiges (naja, geht so……) Schlagzeug mit verbeulten Becken, einer Piccole-Snare, einer konischen Bassdrum + einer Hardware, die wirklich hart war. Es konnte also losgehen! Meine ersten musikalischen Gehversuche erlebte ich mit meinem Bruder + ein paar Freunden mit dem holprigen Gecover von rockigen Welthits. Ich besuchte natürlich weiterhin die Proben meines Bruders mit seiner „richtigen“ Band + das natürlich nur wegen der Musik + nicht wegen der üblicherweise anwesenden Mädels. Alsbald konnte ich den „Grundschlag“, später auch als 4/4-Takt bekannt. Zu dieser Zeit hörte ich Glam-Rock, Status Quo, Iggy Pop + sehr viel David Bowie. Jetzt konnte ich also die Welt erobern………………..
Irgendwann um 1977 war Sigi, die langjährige Freundin meines Bruders George, mit der Schule in England. Sie brachte von dort zwei Platten in unsere Clique mit, die mich nachhaltig beeindrucken sollten: Das erste „Clash“-Album + „Never mind the Bollocks“ von den „Sex Pistols“. Was da aus den Lautsprechern quoll, sollte mein Leben nachhaltig beeinflussen……………….
Zu dieser Zeit kannte ich einen Typ namens Heiko. Er war ein smarter Bursche, totaler Roxy Music-, Brian Ferry- + Humphrey Bogart-Fan, und bekannt mit………………..Jürgen Engler, Bernward Malaka + Stefan Schwaab! Er hat mich später mal mit einer Knarre bedroht, weil er vermutet hat, dass ich was mit seiner Freundin hatte……….. Jedenfalls berichtete er, dass er bald in eine Punkband einsteigen werde, er müsse sich nur noch ein Schlagzeug kaufen. Ich erzählte ihm von meiner „tollen“ Schießbude. Dabei blieb es dann erstmal…………., bis nach ein paar Wochen unser Telefon klingelte + ein Typ am anderen Ende der Leitung meinte, er hätte meine Telefonnummer von Heiko. Ich hätte ja ein Schlagzeug + ob wir uns nicht mal treffen sollten. Ich lief zu dieser Zeit noch mit Plateaustiefeln + langen Haaren rum + lehnte ein Treffen im „Ratinger Hof“ erstmal ab. Ehrlich gesagt, wollte ich mich dort damals nicht blamieren. Also traf ich mich nachmittags mit den Buben in Begleitung meines damals besten Freundes Frank in der Düsseldorfer Altstadt in einer Freak-, Hippie-, Schüler- + Studentenkneipe namens „Zwiebel“. Ich passte da damals optisch ganz gut hinein, Jürgen, Stefan + Bernward eher nicht, bereicherten mit ihren Strubbelfrisuren, viel zu kurzen Plastikhosen + weißen Tshirts mit selbstaufgemaltem MALE-Symbol auf unaufdringliche Art die Szenerie.
Bald war die erste Probe…………………….
ostrich,
Dienstag, 12. Mai 2009, 21:14
gerrit meijer (pvc):
KAPITEL 1
Winter 1946/’47 ... Berlin Neukölln ... Kalter Krieg … Es herrscht noch immer Mangel,
aber die Weichen sind Dank Care-Paketen und unermüdlichem Fleiß auf Restaurierung gestellt. Der viele Schnee tut der Trümmerstadt gut, verdeckt er doch die noch frischen Narben der schlimmen Jahre und rückt die Gegenwart in ein freundlicheres Licht. Am 12.03.1947 mische ich mich ins Weltgeschehen ein, in ein recht beschauliches, kleines –.
300 Meter Mainzerstrasse, zwischen Flughafen und Boddinstraße. Das Leben spielt sich je nach Alter und Geschlecht zwischen Arbeit, Haushalt, Schule und Spielplatz ab. Die Freuden des Daseins sind eher bescheidener Art. Für die Männer: Fußball, Skat und Kneipe. Für die Frauen: Familie, Stricken und Small-Talk mit der Nachbarin. Da viele Männer im Krieg gefallen sind, gibt es etliche Mütter, die ihre Sprösslinge unter schwierigsten Bedingungen durchbringen müssen. Viele Kinder leiden unter Kinderlähmung. Auch in unserem Haus wohnt ein Junge, Rudi Geist, den dieses böse Schicksal ereilt hat. Später wird er einer meiner besten Freunde, der durch absoluten Scharfsinn besticht, was mich sehr beeindruckt. In unserem Haus wohnen Leute mit Namen wie Sauer, Sauermann, Süßmann, Schwenzfeier, Haasewalter oder Petersilie. (Anzumerken ist vielleicht noch, dass der Sohn von Herrn Petersilie, der Tochter von Herrn Schwenzfeier auf dem Außenklo näher gekommen ist. UNWICHTIG?) Ein weiterer Mieter, der alte Ewald, sorgt später dafür, dass unsere Wohnadresse – Mainzer Straße 24 – in die Schlagzeilen gerät. In der Sylvesternacht 1953/’54 wird er von einem Polizisten, dem er seine Krücke überziehen will, in Notwehr erschossen.
Bis 1949 sind meine Eltern und ich staatenlos, da mein Vater – ein Holländer – gezwungen wurde, während des Zweiten Weltkrieges für die Deutsche Wehrmacht zu arbeiten. Dies und sein Nonkonformismus brachten ihm sechs Wochen Haft in einem Konzentrationslager ein. Nach dem Krieg bekam er für seine „Kollaboration“ mit den Deutschen von der holländischen Regierung die Quittung. Durch das Absitzen einer einjährigen Haftstrafe gab man ihm die Chance, die holländische Staatsangehörigkeit zurück zu gewinnen! 1953 nimmt er die deutsche Staatsangehörigkeit an.
Gerrit Meijer senior, mein 1919 geborener Vater, ist ein bisschen verrückt und springt schon mal im Sonntagsanzug für einen Kasten Bier in den Landwehrkanal. Auf jede Art von Ungerechtigkeit reagiert er allergisch und holt auch mal aus, auch wenn es gar nicht seine Person betrifft. Seine Devise ist „ Leben und Leben lassen“. Wenn er in Stimmung („GUTER DINGE“?) ist, spielt er Mundharmonika. Und das sehr gut. Aber leider sagt ihm das Trinken noch mehr zu.
Meine Mutter Gertrud, geb.1908, war in erster Ehe mit einem durchgeknallten Schneider verheiratet, der schon Anfang der Dreißiger Jahre durch silberne Schuhe und extravagante Kleidung auffiel. Dieser Ehe entstammt mein 1930 geborener Bruder Lothar. Er hat so gar nichts von seinem Erzeuger, ist schüchtern und hat nie etwas mit Mädchen zu tun. Sein extrem junges Aussehen führt dazu, dass er manchmal, auf der Straße rauchend, von Polizisten nach seinem Ausweis gefragt wird. Sogar noch im Alter von 20 Jahren.
Zwar spielt meine Mutter Klavier – meist zu Weihnachten. Jedoch ist der eigentliche musikalische Crack in unserer Familie ohne Zweifel Onkel Walter. Violine, Klavier und Akkordeon beherrscht er gleichermaßen gut. Klassik ist seine Domäne.
Die Abende gehören dem Radio. Sehr beliebt sind die „Schlager der Woche“ und die Krimiserie „Es geschah in Berlin“. Der „Insulaner“ aber, eine kabarettistische Sendung, ist der absolute Straßenfeger. Gerade in der Zeit nach der Blockade frei nach dem Motto „West-Berlin bleibt amerikanisch.“ Die Halbstarken wandeln im Stadtjargon das Wort „amerikanisch“ in „’kanisch“ ab. Somit ist ein „’kaner“ zwar nicht gleich ein Amerikaner, aber ein dufter Typ, der dem Typ des „Ammis“ – für uns höchste Stufe des Menschseins – ziemlich nahe kommt.
Populäre Schlager jener Zeit sind u. a. „Das machen nur die Beine von Dolores“, „Wenn ich will, stiehlt der Bill für mich Pferde“, „Zwischen Java und Hawaii“ oder ganz
infantil „Chia chia tschau“, ein Lied, das sogar ich als 3-jähriger beherrsche und mit Inbrunst in der U-Bahn, zum Vergnügen der Fahrgäste und meiner Eltern, zum Besten gebe.
1953 tritt zum ersten Mal der so genannte Ernst des Lebens, den ich nie verstanden habe und
den ich auch nie verstehen werde, in Form der Einschulung an mich heran. Bei dieser
Gelegenheit lerne ich nicht nur meinen richtigen Vornamen kennen, der bisher „Gerti“ war,
sondern mir werden auch noch meine fast bis zu den Schultern hängenden Locken von meinem schwulen Onkel Albert – seines Zeichens Friseur – auf allgemein gültiges Schulmaß
gestutzt.
AUF DIE ZEIT ACHTEN!!!!!!!!!!
KAPITEL 1
Winter 1946/’47 ... Berlin Neukölln ... Kalter Krieg … Es herrscht noch immer Mangel,
aber die Weichen sind Dank Care-Paketen und unermüdlichem Fleiß auf Restaurierung gestellt. Der viele Schnee tut der Trümmerstadt gut, verdeckt er doch die noch frischen Narben der schlimmen Jahre und rückt die Gegenwart in ein freundlicheres Licht. Am 12.03.1947 mische ich mich ins Weltgeschehen ein, in ein recht beschauliches, kleines –.
300 Meter Mainzerstrasse, zwischen Flughafen und Boddinstraße. Das Leben spielt sich je nach Alter und Geschlecht zwischen Arbeit, Haushalt, Schule und Spielplatz ab. Die Freuden des Daseins sind eher bescheidener Art. Für die Männer: Fußball, Skat und Kneipe. Für die Frauen: Familie, Stricken und Small-Talk mit der Nachbarin. Da viele Männer im Krieg gefallen sind, gibt es etliche Mütter, die ihre Sprösslinge unter schwierigsten Bedingungen durchbringen müssen. Viele Kinder leiden unter Kinderlähmung. Auch in unserem Haus wohnt ein Junge, Rudi Geist, den dieses böse Schicksal ereilt hat. Später wird er einer meiner besten Freunde, der durch absoluten Scharfsinn besticht, was mich sehr beeindruckt. In unserem Haus wohnen Leute mit Namen wie Sauer, Sauermann, Süßmann, Schwenzfeier, Haasewalter oder Petersilie. (Anzumerken ist vielleicht noch, dass der Sohn von Herrn Petersilie, der Tochter von Herrn Schwenzfeier auf dem Außenklo näher gekommen ist. UNWICHTIG?) Ein weiterer Mieter, der alte Ewald, sorgt später dafür, dass unsere Wohnadresse – Mainzer Straße 24 – in die Schlagzeilen gerät. In der Sylvesternacht 1953/’54 wird er von einem Polizisten, dem er seine Krücke überziehen will, in Notwehr erschossen.
Bis 1949 sind meine Eltern und ich staatenlos, da mein Vater – ein Holländer – gezwungen wurde, während des Zweiten Weltkrieges für die Deutsche Wehrmacht zu arbeiten. Dies und sein Nonkonformismus brachten ihm sechs Wochen Haft in einem Konzentrationslager ein. Nach dem Krieg bekam er für seine „Kollaboration“ mit den Deutschen von der holländischen Regierung die Quittung. Durch das Absitzen einer einjährigen Haftstrafe gab man ihm die Chance, die holländische Staatsangehörigkeit zurück zu gewinnen! 1953 nimmt er die deutsche Staatsangehörigkeit an.
Gerrit Meijer senior, mein 1919 geborener Vater, ist ein bisschen verrückt und springt schon mal im Sonntagsanzug für einen Kasten Bier in den Landwehrkanal. Auf jede Art von Ungerechtigkeit reagiert er allergisch und holt auch mal aus, auch wenn es gar nicht seine Person betrifft. Seine Devise ist „ Leben und Leben lassen“. Wenn er in Stimmung („GUTER DINGE“?) ist, spielt er Mundharmonika. Und das sehr gut. Aber leider sagt ihm das Trinken noch mehr zu.
Meine Mutter Gertrud, geb.1908, war in erster Ehe mit einem durchgeknallten Schneider verheiratet, der schon Anfang der Dreißiger Jahre durch silberne Schuhe und extravagante Kleidung auffiel. Dieser Ehe entstammt mein 1930 geborener Bruder Lothar. Er hat so gar nichts von seinem Erzeuger, ist schüchtern und hat nie etwas mit Mädchen zu tun. Sein extrem junges Aussehen führt dazu, dass er manchmal, auf der Straße rauchend, von Polizisten nach seinem Ausweis gefragt wird. Sogar noch im Alter von 20 Jahren.
Zwar spielt meine Mutter Klavier – meist zu Weihnachten. Jedoch ist der eigentliche musikalische Crack in unserer Familie ohne Zweifel Onkel Walter. Violine, Klavier und Akkordeon beherrscht er gleichermaßen gut. Klassik ist seine Domäne.
Die Abende gehören dem Radio. Sehr beliebt sind die „Schlager der Woche“ und die Krimiserie „Es geschah in Berlin“. Der „Insulaner“ aber, eine kabarettistische Sendung, ist der absolute Straßenfeger. Gerade in der Zeit nach der Blockade frei nach dem Motto „West-Berlin bleibt amerikanisch.“ Die Halbstarken wandeln im Stadtjargon das Wort „amerikanisch“ in „’kanisch“ ab. Somit ist ein „’kaner“ zwar nicht gleich ein Amerikaner, aber ein dufter Typ, der dem Typ des „Ammis“ – für uns höchste Stufe des Menschseins – ziemlich nahe kommt.
Populäre Schlager jener Zeit sind u. a. „Das machen nur die Beine von Dolores“, „Wenn ich will, stiehlt der Bill für mich Pferde“, „Zwischen Java und Hawaii“ oder ganz
infantil „Chia chia tschau“, ein Lied, das sogar ich als 3-jähriger beherrsche und mit Inbrunst in der U-Bahn, zum Vergnügen der Fahrgäste und meiner Eltern, zum Besten gebe.
1953 tritt zum ersten Mal der so genannte Ernst des Lebens, den ich nie verstanden habe und
den ich auch nie verstehen werde, in Form der Einschulung an mich heran. Bei dieser
Gelegenheit lerne ich nicht nur meinen richtigen Vornamen kennen, der bisher „Gerti“ war,
sondern mir werden auch noch meine fast bis zu den Schultern hängenden Locken von meinem schwulen Onkel Albert – seines Zeichens Friseur – auf allgemein gültiges Schulmaß
gestutzt.
AUF DIE ZEIT ACHTEN!!!!!!!!!!